Rover gegen Astra Cabrio (1993)

Das Schaulaufen der Cabriolets in Innenstädten, an Baggerseen und Uferpromenaden
ist jetzt in vollem Gange. Vor wenigen Wochen noch ernteten deren Fahrer mitleidiges
Lächeln, wenn, sie ihr Stoffdach bei grinsender statt lachender Sonne und
Temperaturen unter 20 Grad zusammenfalteten. Nun werden sie nur noch beneidet.
Vor allem, wenn sie in einem dieser beiden nagelneuen Frischluft-Limousinen sitzen.

Das Opel Astra Cabrio kam im Mai gerade noch rechtzeitig zur Offen-Fahr-Saison zu
den Händlern. Der Rover 216 bereichert schon seit einem Jahr den deutschen Markt,
allerdings mit anderem Gesicht, aber technisch identisch mit dem hier gezeigten 94er
Modell. Zu erkennen ist der Neuling am geänderten Kühlergrill im typischen Rover-
Design, den die gesamte 200er-Reihe einschließlich des noch taufrischen Coupes nach
den Werksferien im August verpasst bekommt. Nach der Nasenkorrektur sieht dem
216 Cabrio nun endgültig niemand mehr die japanische Abstammung an. Denn
ursprünglich war dieser Rover einmal ein biederer Honda Concerto. Mit Ausnahme der
Armaturen haben die Engländer alle Honda-Überbleibsel sorgfältig getarnt: Rover-
Embleme, wo der Betrachter auch hinsieht. Das der Vierzylindermotor aus dem Land
der aufgehenden Sonne stammt, ließ sich aber nicht verheimlichen. Schon der Anlasser
spricht eindeutig japanisch. Motor und Getriebe steuert Honda bei. Der knapp 1,6 Liter
große Vierventiler stammt aus dem Honda CRX und leistet versicherungsungünstige
122 PS. Ansonsten keine schlechte Wahl, auch wenn sich ein hubraumstarker Motor
allgemein besser in einem Cabriolet macht als ein kleiner, hektischer Vierventiler.

Der 1600er erreicht erst bei 5700 Umdrehungen sein höchstes Drehmoment von
bescheidenen 140 Newtonmetern, aber das Alu-Triebwerk hängt sehr gut am Gas,
klingt kernig und dreht schnell hoch. So erzielt der Rover bessere Durchzugswerte als
der nur unwesentlich schwerere, aber drehmomentstärkere Astra. Und wenn einmal ein
Gang nicht passt, lässt sich dies durch die präzise Schaltbarkeit des ebenfalls von
Honda stammenden Getriebes schnell ändern. Dem betagten Opel-Vierzylinder geht
solch agiles Leistungsverhalten völlig ab.

Wenn das Rover-Motörchen bei 4500/min seinen zweiten Frühling erlebt und erst so
richtig loslegt, befindet er sich schon auf dem absteigenden Ast. Der Zweiventiler
suggeriert dem Fahrer, dass man in einem Astra Cabrio eben nicht mit dem Gas spielt,
um Spaß zu haben. Astras Frischluft-Fans lassen es gemeinhin etwas geruhsamer angehen.
Genügend Drehmoment liegt schon bei 2600/min an. Die Fahrleistungen sind
für 115 PS dennoch vollkommen ausreichend. Aber wer fleißig im Getriebe rühren
will, dürfte an der schlabberigen Führung und den lang übersetzten Gängen wenig
Freude haben. Dafür dreht der Opel-Motor bei gleichem Tempo rund 1000 Touren
weniger als der Rover-Quirl. Vorteile im Verbrauch pro 100 km bringt das nicht: 9,7
Liter für den Opel, für den Rover 9,8 Liter - akzeptable Werte. Eher zahlt sich das
beim Innengeräuschpegel aus, der bei Tempo 100 im Rover um drei Dezibel höher
liegt als im Opel: Nicht nur wegen des niedrigen Drehzahlniveaus taugt der Astra als
Langstreckenfahrzeug: Auch die Windgeräusche bleiben selbst bei höherem
Autobahntempo angenehm leise. Der Rover braust - gar nicht gentlemanlike - schon ab
140 km/h kräftig auf, so dass eine Unterhaltung fast unmöglich wird. Schuld daran
trägt nicht nur der überstehende Anschluss des Vinyl-Verdecks am Rahmen der
Windschutzscheibe, sondern ebenso die Beschaffenheit des Materials: Durch den
entstehenden Überdruck im Innenraum bläht sich die Mütze auf wie ein englischer
Bowler-Hut und wirft anschließend dicke Falten.

Wohler fühlt man sich mit dem Rover auf Landstraßen, natürlich barhäuptig. Das
Öffnen geht leicht vonstatten: die gefährlich in Kopfnähe angebrachten Hebel
entriegeln, Knopf drücken, fertig. Dank serienmäßigen Elektroantriebs. Mühe macht
indes die Montage der Persenning: zuerst den Motor abstellen, Kofferraum
aufschließen, Persenning befestigen und mit dem Kofferraumdeckel straffziehen.
Übrig bleibt nur der Oberrollbügel. Spätestens nach dem ersten abrupten Lastwechsel
in einer Kurve ist die Besatzung dankbar, dass es ihn gibt. Denn das recht straff
abgestimmte, sehr handliche Fahrwerk lässt den offenen Rover in dieser Situation gern
mit dem Heck herumschwenken. So etwas bleibt dem Astra völlig fremd. Komfortabel
abgestimmt, aber nicht zu weich, verhält er sich bei Kurvenfahrten absolut neutral.
Nichts kann ihn aus der Ruhe und die Karosserie zum Verwinden bringen, worunter
wiederum die Handlichkeit ein wenig leidet. Insgesamt vermisst man den Schutzbügel
nicht, das gilt zumindest für Fahrer und Co.

Die Ausstattung des Briten lässt kaum Wünsche offen. Die Palette reicht von
elektrisch bedienbaren Fensterhebern (leider nur vorn) und Außenspiegeln über
Zentralverriegelung und Alarmanlage bis zum elektrisch betätigten Verdeck. Unser
Testwagen war ein besonderes Exemplar: Er zählte zu der auf 200 Stück begrenzten
Limited Edition. Die feinen Unterschiede: Lederausstattung und British-racing-green-
Lack. Der Preis: 38 350 Mark. ABS gibts für den 2161 nur gegen Aufpreis.

Mit der Sicherheit nehmen es die Engländer nicht so ernst wie die Rüsselsheimer:
Einen Airbag, gegen 807 Mark Aufpreis für den Astra lieferbar, sucht man im Rover
vergebens, ABS gibt's nur gegen 2265 Mark Zuzahlung. Da schrumpft der Preisvorteil
gegenüber dem Opel (ABS Serie) deutlich. Der gut ausstaffierte Astra kostet mit dem
2305 Mark teuren Elektro-Komfort-Paket 43 135 Mark. Die Charaktere der beiden
Cabrios sind so unterschiedlich wie die Länder, aus denen sie stammen. Der Astra ist
unbestreitbar das hochwertigste und alltagstauglichste Cabrio seiner Klasse. Er ist aber
so gut, dass er den Puls kaum schneller schlagen lässt. Der Rover, wesentlich weniger
perfekt, macht einen frecheren Eindruck. Sein Trumpf: mehr Exklusivität für weniger
Geld.
 

Jens Bobsien (AutoZeitung)